Rekonstruktion Schlosskapelle

Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Magirius
ehem. Landesdenkmalpfleger von Sachsen

Schlosskapelle Dresden

Fast 150 Jahre lang stand die Dresdner Schlosskapelle im Mittelpunkt des gottesdienstlichen und musikalischen Lebens der kurfürstlich-sächsischen Residenz: Sie löste als eine der frühesten lutherischen Kirchenräume die Georgskapelle im ersten Geschoss des 1547/48 abgebrochenen Westflügels des spätgotischen Schlosses ab. Ihr Rang war aber ein ungleich höherer, da sie als Hofkapelle eines lutherischen Kurfürsten, der nicht nur summus episcopus (oberster Bischof) seines Landes, sondern auch führendes Haupt des corpus evangelicorum (der Evangelischen) im deutschen Reich war, die Blicke der gesamten evangelischen Christenheit auf sich zog. Nur unter diesem Aspekt ist die eigenartige Raumgestaltung, die reiche künstlerische Ausstattung, ihre Bedeutung als Predigtstätte hervorragender Hofprediger und Ort der Musikpflege von europäischer Bedeutung zu verstehen.

Die Innenarchitektur erschien im Aufriss kraftvoll und klar, im Gewölbeabschluss aber vielteilig und unübersichtlich. Toskanische Halbsäulen waren den Wandpfeilern in Emporenhöhe vorgelegt. Sie ruhten auf architektonisch reich gegliederten Rechteckvorlagen in der Erdgeschosszone. Der Anspruch auf antikische Gravität der Wandarchitektur war unübersehbar. Auch die Gliederung der Emporenbrüstungen trug zur Betonung des Renaissancecharakters bei. Der Fußboden des Raumes war nach antikischem Vorbild mit kunstvoll gemustertem Steinbelag versehen. Das Gewölbe hingegen, das sich als reiches Netzgewölbe flach über Mittelraum und Nischen hinwegzog, war von den Traditionen der obersächsischen Spätgotik bestimmt. Seine nur durch die Kupferstiche von 1676 und 1730 überlieferte Figuration ist nicht exakt bestimmbar. Viel spricht für ein Schlingrippengewölbe mit sechsteiligen "Blütensternen" über dem Mittelraum, aber auch ein Sternnetzgewölbe wäre nicht ausgeschlossen.

Das die Wandnischen einbeziehende Netzgewölbe ruhte in den Ecken auf korinthischen Säulen. Die Aufmerksamkeit der Besucher war besonders auf ein dem Gewölbe untergehängtes Bildhauer-Kunststück ausgerichtet: Geschuppte Schlangenleiber lösten sich seitlich aus dem Netzgewölbe und strebten der mittleren Längsachse des Raumes zu, wo sie - jede Schlange einzeln - von Kinderengelchen mit den Marterwerkzeugen Christi bekriegt und besiegt wurden. Der Raumeindruck war von dem Engelskampf in der Mittelachse des Raumes wesentlich mitbestimmt.

Schlosskapelle PortalNeben Kanzel, Altar und Taufe aus der Mitte des 16. Jahrhunderts war das 1555 und 1556 geschaffene Portal der bedeutsamste Schmuck der Schlosskapelle. Es ist von ganz neuartiger Monumentalität und Pracht. Eine Rollwerkkartusche ist mit den Buchstaben V.D.M.E. bezeichnet. Der lutherische Wahlspruch der Ernestiner: VERBUM DOMINI MANET IN AETERUMUM (Gottes Wort bleibt in Ewigkeit) wird hier vom lutherischen Albertiner übernommen.

Auf die überreiche Ausstattung der Kapelle mit "niederländischen" Gobelins, den so genannten Passionsteppichen, mit Antependien und liturgischem Gerät sowie die Glocken wird hier nicht näher eingegangen. Sie gehörte aber - ähnlich wie die unter Kurfürst Johann Georg II. (1656-1680) ihren Höhepunkt erreichende Kirchenmusik - zu den Ornata Ecclesiae (Schmuckstücke der Kirche), die die sorgsam inszenierten Gottesdienste zu Festen für Ohren und Augen machten.

Der Bereich der Schlosskapelle war von den Kriegszerstörungen am 13. Februar 1945 besonders betroffen. Während die meisten Erdgeschossgewölbe des Schlosses erhalten geblieben waren und durch provisorische Abdeckungen und deren andauernde Pflege gesichert werden konnten, gelang das in den Räumen, wo sich einst die Schlosskapelle befunden hatte, nicht. Trotz notdürftiger Sicherungen ihrer Südwand 1965 stürzten die nach 1737 eingefügten Ziegelgewölbe 1966 ein. Im Zuge der Vorbereitungen zum Wiederaufbau des Schlosses in den achtziger Jahren musste die hofseitige Wand gänzlich abgetragen werden. Die Nordwand und insbesondere der einsturzgefährdete Giebel konnten 1986 nur durch eine aufwändige Stützkonstruktion erhalten werden. Im Zuge der baulichen Sicherung dieses Teils vom Nordflügel des Schlosses fügte man in der Art der ehemaligen Wandpfeiler der Kapelle Betonpfeiler ein. Schon damals war also beabsichtigt, die räumliche Kubatur und Gestalt der ehemaligen Schlosskapelle wieder herzustellen. Dazu gehörten nicht nur die Wandpfeiler, sondern auch die Emporenbögen und die Fensterarchitektur. Im Rohbau ist seither der historische Innenraum wieder erlebbar. Durch bauarchäologische Forschungen gelang die Ermittlung der historischen Türöffnungen und der ehemaligen Gewölbeansätze. Im Boden der nach 1737 neu geschaffenen Räume fanden sich Fußbodenplatten aus Sandstein vom Kapellenraum des 16. Jahrhunderts und Reste der Schlangenleiber des Gewölbes. Später wurden in der ehemaligen kurfürstlichen Loge Partien von Wandmalereien wieder aufgefunden.

Im Zuge der Absicht, das Schloss zu Dresden als "Monument sächsischer Geschichte und Kultur" wieder aufzubauen, kam der Kapelle als historischem Ort besondere Bedeutung zu. Dabei spielte von vornherein die Pflege historischer Hofmusik und insbesondere die Musik von Heinrich Schütz eine entscheidende Rolle. Vergleichende Studien an anderen Kapellen des 16. Jahrhunderts sollten die Möglichkeit einer Rekonstruktion des Innenraums ausloten.

Seit 1990 ergaben sich andere bauliche Prioritäten. Aber an dem Gedanken, den Raum eines Tages doch zur Pflege alter Musik nutzen zu können, wurde festgehalten. Nach wie vor wünschen Freunde alter Musik die Rekonstruktion der Fritzsche-Orgel von 1612. Dem um die Musikgeschichte Dresdens besonders verdienten Musikwissenschaftler Prof. Dr. Wolfram Steude ist es vor allem zu danken, dass der Plan zur weiteren Ausgestaltung der Schlosskapelle auch in Zeiten wachgehalten wurde, als der Raum zu Aufführungen des Staatsschauspiels Dresden genutzt wurde und sogar von der Kapelle als "Schloss-Theater" die Rede war. Im Jahr 2005 diente die Kapelle als Raum für die Ausstellung "Zeit - Schichten", einer Thematik der Denkmalpflege. Seit einigen Jahren wird die Schlosskapelle aber auch wieder als Aufführungsort historischer Musik benutzt, wobei sich der Verein "Heinrich Schütz in Dresden" e. V. besondere Verdienste erworben hat.

Bei den weiteren Überlegungen zur zukünftigen Gestaltung spielt neben denkmalpflegerischen Aspekten die zukünftige Nutzung eine vordringliche Rolle. Dabei kommt konservatorischen Notwendigkeiten besonderes Gewicht zu, aber auch solchen der Präsentation hervorragender Stücke des 16. Jahrhunderts.


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Samstag, 16. Oktober 2010
(Sächsische Zeitung)

Die Schlosskapelle kehrt zurück


Von Peter Ufer und Bettina Klemm
Im Residenzschloss wird bis Ende 2011 die historische Schützkapelle ausgebaut. Altar und spätgotisches Schlingrippengewölbe entstehen wieder.

Die historische Schützkapelle
Dresden. Ende 2011 wird der Besucher sie sehen können: Die Schützkapelle im Residenzschloss. Was jetzt grauer Beton ist, verwandelt sich in eine kraftvolle und klare Architektur mit toskanischen Halbsäulen, die den Wandpfeilern in Emporenhöhe vorgelegt sind.

Darüber ein Gewölbe, das sich wie ein Netz flach über Mittelraum und Nischen hinwegzieht. Ein Meisterwerk der obersächsischen Spätgotik, von dem nur zwei Kupferstiche überliefert sind, einer von 1676, der andere von 1730. Ein Schlingrippengewölbe mit sechsteiligen „Blütensternen“ über dem Mittelraum ist erkennbar. Das wird gebaut, sagte am Freitag der Niederlassungsleiter des Sächsischen Immobilien- und Baumanagements, Ludwig Coulin. Die Firma Dreßler-Bau ist dabei, eine Probewölbung zu fertigen.

Fast 150 Jahre lang stand die Dresdner Schlosskapelle im Mittelpunkt des christlichen und musikalischen Lebens der kurfürstlich-sächsischen Residenz: Sie löste als eine der frühesten lutherischen Kirchenräume die Georgskapelle im ersten Geschoss des 1547/48 abgebrochenen Westflügels des spätgotischen Schlosses ab. So beschreibt es der ehemalige Landesdenkmalpfleger Heinrich Magirius.

In dieser Kapelle hat der Komponist des Frühbarocks Heinrich Schütz (1585 bis 1672) fast sein gesamtes Werk uraufgeführt, erinnert der frühere Landeskonservator Gerhard Glaser. In der Bombennacht von 13. Februar 1945 wurde die Kapelle fast vollständig zerstört.

Doch schon 1737 hatten sie ihre Bedeutung verloren. Die Kurfürsten waren zur katholischen Kirche konvertiert. So wurde der 1662 von Wolf Caspar von Klengel entworfene Altar in die Sophienkirche überführt und in der Busmannkapelle aufgestellt. Das Westportal der Sophienkirche erhielt das auch als Goldenes Tor bezeichnete Außenportal der Schlosskapelle. Es wurde um 1556 nach dem Vorbild römischer Triumphbögen errichtet. Nach dem Umbau der Sophienkirche wurde das Portal entfernt und 1872 neben der Südfassade des Johanneums aufgebaut. Heute befindet sich ein Nachbau wieder im Großen Schlosshof.

In den Kellern des Landesamtes für Denkmalschutz liegt auch der Altar. Die Bürgerstiftung hatte im Zusammenhang mit dem Bau der Busmannkapelle nach den Teilen gefahndet. So kann auch der Altar fast vollständig wieder in die Schlosskapelle eingebaut werden.

Als in den 1980er-Jahren der Wiederaufbau des Schlosses begann, musste die hofseitige Wand abgetragen werden. Die Nordwand und insbesondere der einsturzgefährdete Giebel konnten 1986 nur durch eine aufwendige Stützkonstruktion erhalten werden. Schon damals fügte man in der Art der ehemaligen Wandpfeiler der Kapelle Betonpfeiler ein. Die räumliche Kubatur und Gestalt der ehemaligen Schlosskapelle bekam ihre Form zurück. Es entstanden die Wandpfeiler, die Emporenbögen und die Fensterarchitektur wieder.